Donnerstag, 15. November 2007

Entscheidung

Die letzten sieben Tage waren gezeichnet durch eine intensive Auseinandersetzung mit den wissenschaftlichen Berichten und den Auswirkungen des Hand-Fuss-Syndroms. Dieses hat unsägliche Ausmasse angenommen. Nach allen Abklärungen und Gesprächen halte ich fest, dass
- es keine Studie gibt die belegt, dass vier Zyklen Chemotherapie eine schlechtere Ausgangslage ausweisen wie sechs Zyklen;
- es unwahrscheinlich ist, dass eine Krankheit als solche durch die Psyche positiv oder negativ beeinflusst werden kann;
- die Psyche die Art des Umgangs mit der Krankheit beeinflusst;
- meine kurative Ausgangslage als hervorragend zu bezeichnen ist und ich medizinisch gesehen eigentlich als gesund gelte.
Die Nebenwirkungen machen krank. Sie beeinträchtigen nicht meine Lebensqualität sondern behindern mich aktiv am Leben teilzuhaben. Ich vegetiere und nimm mich als Mitglied eines geriatrischen Zentrums wahr. Ich kann mich selber weder ausziehen noch ankleiden, jeder Handgriff schmerzt, die Müdigkeit ist enorm.
Wohl habe ich den letzten Rest an Humor noch nicht verloren. Es fällt aber zunehmend schwer an Heilung zu glauben, wenn Krankheit zelebriert wird. Nach Abwägung aller Vor- und Nachteile habe ich folgende Entscheidung getroffen:

Ich beendige den therapeutischen Prozess (Eloxatin i.v./Xeloda per os) und verzichte auf den fünften und sechsten Zyklus.

Diese Entscheidung führte zu einer Befreiung. Ich fühle mich gut, beseelt durch ein inneres Glücksgefühl. Ich habe die Klinik heute mit erhobenem Haupt verlassen und suche den Weg zurück zu meinem Leben.

Schneebedeckte Fahrbahnen und ein grau verhangener Himmel kündigten den heutigen Tag an. Es war kalt und unfreundlich. Gegen Mittag durchbrachen Sonnenstrahlen die Wolkendecke und färbten den Schnee wohlig ein. Ich bin und will sein – ich freue mich an den Schönheiten dieses Lebens.

Alles Liebe
Peter

Donnerstag, 8. November 2007

Zwischenbilanz

Zugegeben, der jetzige Blogeintrag wird etwas überraschend sein. Ich halte ihn indes für unumgänglich.

Ich habe den vierten Zyklus abgeschlossen und stehe wohl an einem Punkt, an dem ich nach sorgfältiger Reflexion eine Entscheidung zu treffen habe. Den Prozess dieser Entscheidung möchte ich auflisten:
Ich freute mich auf die Chemotherapie, die mir eine Erhöhung der rückfallfreien Zeit während der ersten fünf Jahre nach Beginn der Therapie von 64% auf 77% ermöglicht. Das ist nicht unwesentlich. In der Entwicklung der Therapie zeigte sich schon bald, dass die Nebenwirkungen Einfluss auf die Lebensqualität haben werden. Zurzeit ist es so, dass die Hände und Füsse brennen, mir keinen auch nur einigermassen vernünftigen Alltagsablauf ohne massive Schmerzen ermöglichen. Reibe ich die Hände, dann erhalte ich Linderung für genau 10 Sekunden, um danach für Minuten mit noch brennenderen Händen bestraft zu werden. Die Therapie, der gegenüber ich mich sehr positiv eingestellt hatte, verändert plötzlich ihr Gesicht. Sie wird zu einem Gegenspieler. Wir reden immer von Einschränkung der Lebensqualität. Was ich zurzeit wahrnehme ist eine Verhinderung am Leben. Diese gravierende Veränderung hat psychische Auswirkungen. Ich fühle mich wie ein Ur-Veteran (so über 90), bei noch keinen 60! Natürlich weiss ich (intellektuell), dass dieser Zustand vorübergehender Natur ist. Nur als Patient erlebe ich ihn jetzt, stündlich oder pointierter formuliert: jede Minute.
Wenn wir davon ausgehen, dass die Psyche die Krankheitsentwicklung beeinflusst, dann stehe ich vor der Entscheidung, wie ich weiter tun will. Die Abwehr gegen Xeloda (verantwortlich für dieses Hand-Fuss-Syndrom) ist für mich stärker geworden wie der vermeintliche Nutzen des Medikamentes. So stehen mir folgende Möglichkeiten zur Entscheidung offen:
- Reduktion von Xeloda;
- Therapie nur mit Eloxatin iv.;
- Umstieg auf FOLFOX4;
- Abbruch der Therapie.
Mit entscheidend ist auch die Ausgangslage: linksseitiges Kolon bis 35 cm ist entfernt, T3 Stadium (T4 = max.); Histologischer Grad 1-2 (3 = max.), Metastase in 1 von 18 tumornahen Lymphknoten, vier tumorfreie tumorferne Lymphknoten. Die Resektionsränder sind tumor-, divertikel- und entzündungsfrei, keine Fernmetastase (Becken, Leber, Milz, Lunge usw.).

So: ich weiss, was ich in den kommenden Tagen zu tun habe. Ich darf auf eine sehr herzliche, liebevolle, ehrliche und fachlich hochkompetente Unterstützung aller Menschen in meinem Umfeld zählen und werde meine Entscheidung in aller Ruhe im Verlaufe der nächsten zehn Tage fällen.

Der Herbstwind wirbelt die farbigen Blätter durch unseren neu erstellen Garten. Die Vögel erfreuen sich einer kernigen Zwischenmahlzeit in ihrem Vogelhaus, die Wolken spielen mit der Sonne und dem Mond und lassen sich winterlich einfärben. Ich liebe diese Stimmungsbilder und freue mich auf den Frühling. Noch aber sitze ich am wärmenden Kaminfeuer.

Alles Liebe
Peter